Dicke graue Wolken hängen über Olching und gelegentlich spüre ich Regentropfen auf meinen Händen. Es ist trist und der Winter hält langsam aber sicher Einzug. Nasses buntes Blattwerk liegt überall verstreut und in ein paar Tagen wird nichts mehr vom farbenprächtigen Herbst zu sehen sein.
Es ist Freitag. Martin ist gerade bei mir zu Besuch und war noch nie in einem Konzentrationslager. Da mein letzter Besuch bereits Jahre zurück liegt und Martin schon immer eines besuchen wollte, nutzten wir den freien Nachmittag.
Zuletzt war ich in der 9. Klasse dort, wie es nahezu alle Münchner Schulen in ihren Lehrplänen vorsehen. Allerdings muss ich zugeben, dass mir damals die nötige Ernsthaftigkeit fehlte, um mich dem Thema vernünftig anzunehmen. Wenngleich mich das Thema WW2 irgendwie schon immer interessierte.
Diesmal war es anders…
Darüber zu sprechen, ist unmöglich,darüber zu schweigen, ist verboten!
Elie Wiesel
Wir parkten kurz vor dem Eingang. Soweit ich mich erinnern kann, war damals der gesamte Museumsanteil anders konzipiert. Auch der Eingang war irgendwo anders. Heute gelangt man über den selben Weg in das Lager, wie es die damaligen Insassen taten. Es sind Überreste des Gleiswerks und des Bahnsteigs zu sehen. Der Eintritt erfolgt durch ein Tor, welches den an Zynismus nicht übertreffenden Satz „Arbeit macht Frei“ ziert.
Martin und ich schütteln ungläubig den Kopf.
Die Art und Weise, wie wenig ein Menschenleben dort wert war, gipfelte unter anderem an der Inschrift, die auf dem Dach des Hauptgebäudes zu lesen war. Jeder Gefangene musste mindestens zweimal täglich zur Zählung auf den Appellplatz und bekam die eingefärbten Dachziegel ständig zu sehen.
Leider habe ich es mir nicht notiert und kann auch nichts finden, woraus der Wortlaut hervorgeht. Es ließ mich erneut ungläubig mit dem Kopf schüttelnd zurück.
Über Informationstafeln, die sich überall fanden, konnten wir uns einen Gesamtüberblick verschaffen und stellten fest, dass die Gedenkstätte nur einen kleinen Teil des gesamten Areals einnimmt und früher wesentlich größer gewesen war.
Erstaunlich war auch, wie viele kleinere Lager sich im gesamten bayerischen Raum befanden. Letztlich zeigt sich ein enorm effizientes Geflecht, dass sich weit über den europäischen Kontinent hinaus erstreckte.
Bevor wir uns das Areal genauer ansahen, besuchten wir das Museum. In meinen Augen wird dort sehr gut veranschaulicht wie sich das KZ langsam zu dem entwickelte, was dem Namen der Stadt „Dachau“ weltweit zu seinem zweifelhaften Ruf verhalf. Mal von der Tatsache abgesehen, dass es eines der ersten und letzen Lager war.
Das Museum zeigt auf, wie die Nazis ihre Macht festigen konnten und später den irrsinnigen Plan der „Endlösung“ nach vorne trieben.
Wir bewegen uns durch kahle Räume, in deren Mitte überdimensionierte Schautafeln aneinander lehnen. Diese sind mit Fotos, Wahlplakaten der damaligen Parteien, Infotexten etc. versehen. Pulte mit Ordnern, in denen sich Zeitungsausschnitte befinden, zogen mich an. Nachzulesen sind diverse News aus unterschiedlichen Jahren. Die Rolle der Dachauer Anwohner kommt genauso ins Spiel wie relativierende oder schlichte Falschmeldungen. Immer mit dem Hintergedanken, dass wir uns in den selben Räumen befinden, wo vor einigen Jahrzehnten noch entlaust, bis ins Detail untersucht, experimentiert und geschlagen wurde. Ekelhaft irgendwie.
Erschreckende Parallelen zu heute tauchen immer und immer wieder auf. „Völkisch“ sprang mir direkt ins Auge. Dieser Begriff soll ja wieder „entnazifiziert“ werden, um in den allgemeinen Sprachgebrauch des deutschen Patrioten wieder vorurteilsbefreit einzuziehen.
Gelegentlich werden Exponate gezeigt. Es handelt sich dabei u. a. um einen Original-Holzspind, in dem sich noch eine Garnitur der gestreiften Häftlingskleidung samt Holzschuhen befindet. Nicht auszudenken, dass die Insassen im Winter nicht viel mehr als das zum Anziehen hatten. Auch Geschirr, selbst geschnitzte Schachspiele oder ein Bock, auf dem Prügelstrafen ausgeübt wurden, werden ausgestellt.
Was mir persönlich zu schaffen machte, waren die Informationen. Gut, das ist vermutlich normal, wenn man sich selbst als emphatisch bezeichnen würde. Mir wurde allerdings einmal mehr klar, dass dort Menschen aufs Übelste drangsaliert, misshandelt und letztlich getötet wurden.
Bedrückend war, dass diese Schweine nicht müde wurden, ihre Insassen auf perfide Art und Weise unter Druck zu setzen um auch den letzten Funken Hoffnung zu eliminieren. Menschen wurden gegeneinander ausgespielt. Es wurde mit ihnen experimentiert, sie wurden maßlos getötet und „sterben gelassen“.
Apropos „maßlos“: Es ging soweit, dass die Tötungsmaschinerie so effektiv war, dass mittelfristig mit einer Unterbesetzung durch Zwangsarbeiter in den Munitionsfabriken zu rechnen gewesen wäre, was dazu führte, dass die „Vernichtung“ wieder zurück gefahren wurde… Eine Farce.
Noch immer entsetzt über all diese Abscheulichkeiten verließen wir schweigend das Haupthaus und bewegten uns in Richtung Baracken. Zwei davon sind noch da. Die anderen wurden entfernt. Fundamente zeugen noch von der Größe dieses Lagers.
Martin fiel ein Paradoxon auf: In der Mitte des Lagers befindet sich eine Allee mit wunderschönen Bäumen. Sie geben dem ganzen Grauen irgendwie etwas Schönes. Es war mir erst gar nicht bewusst, aber es stimmt. Und es unterstreicht einmal mehr, wie zynisch und menschenfeindlich das Regime agierte.
Während ich das hier versuche zu schreiben, macht sich ein Knoten im Bauch breit, weil ich nicht in der Lage bin, das zu formulieren, was ich gerne zum Ausdruck bringen möchte. Es ist einfach so ekelhaft-scheiße, dass Menschen in der Lage sind ihresgleichen so etwas anzutun.
Wir kommen zur jüdischen Gedenkstätte. Sie ist klein, dunkel und doch so imposant.
Ein Weg ist mit dunklen Mauern eingefasst und führt ein paar Meter nach unten. Dort ist ein dunkles, schmiedeeisernes Tor, das auf beiden Flügeln der Davidsstern ziert. Wenn man das Tor öffnet um hinein zu treten steht man im Dunkeln. Die schwarzen Wände sind feucht. Die Kombination aus Dunkelheit, Nässe und Enge – kombiniert mit dem Wissen, wo man sich befindet, löst ein bedrückendes Gefühl aus. Licht dringt nur durch eine Öffnung in der Decke herein und lässt die Spitzen der Steinwände glänzen. Folgt man dem Lichteinfall und richtet seinen Blick nach oben, befindet sich dort der siebenarmige Leuchter. Folgt man dem Licht in die entgegengesetzte Richtung, fällt der Schein auf einen kleinen Strauß roter Rosen, der offensichtlich erst vor Kurzem dort abgelegt worden war.
Wir gehen weiter…
Der katholische Gedenk-Part ist recht zentral gelegen. Besucher laufen quasi direkt darauf zu, weshalb wir uns nicht genauer damit befassen. Er wirkt größer als das jüdische Pendant, dass sich rechts davon befindet. Der katholische Bau bleibt aber nicht ansatzweise so im Gedächtnis haften.
Wir verschaffen uns einen kurzen Eindruck vom zugänglichen Teil des Klosters, welches sich hinterhalb des Lagers befindet. Glaubt man den Infotafeln, war genau dort der „Entspannungsbereich“ der SS – mit Hütte und Kräuter-Garten. In diesem Garten haben sich dort arbeitende Insassen versehentlich mit Blumenzwiebeln vergiftet. Sie waren so ausgehungert, dass sie einfach darauf los gegessen haben. Nachdem die Vergiftung auskuriert war, wurden sie mit dem schwarzen Dreieck markiert. Was bedeutete, dass sie noch härter behandelt werden sollten als es vorher der Fall war!? Harter Tobak.
Zurück bei den Fundamenten gehen wir durch einen modernen Kirchenbau, der sich links neben dem der Katholiken befindet, zünden dort eine Kerze an und erreichen den Zugang zum Areal der Baracke X.
Baracke X:
In den Anfangszeiten des Konzentrationslagers war diese wohl „nur“ ein kleines Krematorium. Sie diente dazu, die im Lager verstorbenen Insassen zu verbrennen.
Aufgrund des schnellen Anstiegs der Todesfälle wurde es kurz darauf um einen größeren Bau ergänzt. Dort befindlich waren diverse Kammern zu Desinfizierung von Häftlingskleidung, Räume für die Aufbewahrung von Leichen, weitere Brennöfen um Leichen effizienter zu entsorgen und eine Gaskammer.
Das Krematorium diente nicht nur der Leichenverbrennung, sondern auch der Hinrichtung von Häftlingen durch den Strang. Dies geschah direkt vor den Öfen um die Wege kurz zu halten.
Auch wenn die Tötung von Gefangenen durch Kampfgas im KZ Dachau nicht nachgewiesen werden konnte, lässt einen der Weg durch diese Kammer nicht weniger das Blut in den Adern gefrieren.
Hinterhalb der Baracke führt ein Weg durch einen kleinen, schön angelegten Garten. Die Schönheit wird immer wieder durch graue Steintafeln gebrochen. Darauf sind Informationen zu lesen, was sich an den jeweiligen Plätzen befand oder stattfand. Einige Stellen zeigen Asche-Gräber.
Andere Stellen, es sind Wände mit kleinen Anhöhen, lassen mich erschaudern. Dort wurden Menschen per Genickschuss hingerichtet. Alternativ dazu galt die Devise „auf der Flucht erschossen“. Willkür stand auf der Tagesordnung.
Wir verlassen das Gelände. Schweigend.
So schnell möchte ich nicht mehr dort hin. Martin sitzt im Auto neben mir und ist sichtlich gezeichnet.
Es hat mir einmal mehr gezeigt, wie wichtig solche Gedenkstätten sind. Es ist nichts Schönes. Dennoch ist und bleibt es unser Erbe. Relativeren gilt nicht.
Verantwortung heißt nicht, dass ein jeder von uns ständig in Demut leben muss. Verantwortung bedeutet, dass sich jeder, der hier aufwächst, damit auseinander zu setzen hat.
Es gilt, sich der Geschichte zu stellen um sich zu vergegenwärtigen wie scheiße Menschen sein können. Um zu sehen und idealerweise auch zu fühlen, was nicht mehr geschehen darf.
NIE WIEDER!
Da es aktuell wieder „en vouge“ ist, dem Nationalstolz zu huldigen, möchte ich mit folgendem Zitat schließen:
Und dann redet ihr von „Stolz“, aber meint damit nur Goethe.
Aber niemals Sachsenhausen.
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Warum ich Menschen nicht mag // Audio88 & Yassin